Rainer B. Jogschies

Journalist - Autor - Dozent, Hamburg
Rainer Jogschies

Artikel

Bücher

Essays

Vorträge

Filme

Freunde

Kontakte

Impressum

Was gibt´s denn noch so im Fernsehen?

Können Sie die Sprache des Fernsehens lesen ohne zu stottern?

Die Unionschristen unter Helmut Kohl haben uns befreit: Sie führten 1983 das "Privatfernsehen" ein, das inzwischen von einem seiner Nutznießer, Harald Schmidt, als "Unterschichten-Fernsehen" bespöttelt wird. Längst sind der "Bildungsauftrag" und die kulturelle Vielfalt, die in den Landesrundfunkgesetzen und dem über das "Zweite Deutsche Fernsehen" verankert wurden, vergessen. Es gab selten mehr zu sehen, das weniger war.

Selbst in den öffentlich-rechtlichen Anstalten Programme zu machen, fällt schwer, wenn man nicht den Intelligenzquotienten einer Eva Hermann hat. Die Redakteure sind zermürbt oder von Parteien ins Amt gehoben, so dass sie es schon vroher waren - von fachlicher Qualifikation ganz zu schweigen. Die Sender werden von Stumpfsinn und Parteienproporz regiert - dem demokratischen Auftrag genügt das nicht, allenfalls der Legitimation.

Deshalb sind die hier aufgeührten Arbeiten Einzelstücke. Man muss sie nicht gesehen haben. Und nur wenige haben sie gesehen, weil sie auf versteckten Programmplätzen "versendet" wurden, wie es im Anstaltsirrsinn so treffend heißt.

Gleichwohl haben sie Beachtung gefunden, eine Drehbuchbearbeitung erhielt die Publikumspalme in Cannes, ein anderes Buch erhielt den "Glashaus"-Medienpreis., immerhin. Ansonsten haben Studenten und Tagungsteilnehmer immer wieder den einen oder anderen Ausschnitt gesehen oder eine private Kopie - es gibt immer noch viel darüber zu reden - was ein gutes Zeichen für Fernsehen ist: Dass das Sehen allein nicht ausreicht.

Fermsehfilme.

Besprechungen.
Aufsätze zu den Filmen.
Vortrag zu einem Film und seiner geänderten Wahrnehmung.

Einige Fernsehfilme:

Die hier aufgeführten Filme wurden nicht wiederholt, oft wurden sie mit Jahren Verspätung gesendet. Wenn nicht anders angegeben lagen Idee, Buch und Regie bei Rainer B. Jogschies.

An dieser Stelle ist den Personen zu danken, die mit ihrer Zeit, Erfahrungm Gespür und Güte zur Verwirklichung der Projekte beigetragen haben. Sie sind leider größtenteils nicht im Bild - nur im übertragenen Sinne waren sie mehr als das.

Die Bombe
Polit-Thriller nach einem Roman von Lars Molin, mit Michael Degen, Regie: Christian Görlitz. ZDF (Januar 1988,) im Frühjahr 1988 mit dem Publikumspreis in Cannes prämiert.

Vier Wände. Eine Deutsche Einheit .
Fernsehspiel mit Dominique Horwitz,
Regie: C. Cay Wesnigk, NDR (Dezember 1990), im Oktober 1992 mit dem Glashaus-Medienpreis prämiert. Näheres dazu erfahren Sie hier. Wenn Sie zudem an Thesen und Reflektionen zum Film interessiert sind, finden Sie hier eine Übersicht zu erschienenen Aufsätzen.

Seelenpolaroids
Spielszenen mit Christoph Eichhorn,
Regie: Horst Königstein, NDR 1990

1990 - War da was?
Spiel/Dokumentation, NDR 1991

Sympathy for the Devil - Zwanzig Jahre danach.
Zweiteilige Reportage, NDR Oktober 1992, (Erster Teil: Der Bildverbesserer und der Clown; ZweiterTeil: Der Buddha und die Friseuse), Regie: Rainer Gottwald

Tabu Tabu
Dokumentation über Sexualität und stern-Titelbilder mit Inge Meysel, NDR Mai 1995

Mich mit Flügeln kann ich mir gar nicht vorstellen!
Das "letzte" Interview der Schauspielerin Inge Meysel, mit Eva-Gesine Bauer als Gesprächspartner, NDR (Mai 1995 aufgezeichnet und nach dem Tod der "Mutter der Nation" im November 2005 gesendet)

Drei Gänge (durch Deutschland)
Report über die Achsen deutscher Identität, mit Tamara Danz, Dr. Volkhard Knigge, Prof. Dr. Detlef Hoffmann, Ludwig van Beethoven, Prof. Dr. Silke Wenk, Annette Berr; NDR (Dezember1994). Was ein Kritiker von dem Film hielt, erfahren Sie hier. Wenn Sie zudem an Thesen und Reflektionen zum Film interessiert sind, finden Sie hier eine Übersicht zu erschienenen Aufsätzen.

Fünfzig Meter (Große Freiheit.)
Deutsches Vergnügen, eine Live-Show von der "Gr.oßen Freiheit "auf St. Pauli und aus dem NDR-Archiv
Mit Carsten Pape, Michael Batz, Clemens-Maria Haas, Jürgen Kumlehn u.v.a.m.
Pilotfilm einer Sendereihe, NDR (März 1995, Erstsendung o. Reihe: N3, 09.April 1996). Wie Kritiker diesen Film aufnahmen und welche Perspektiven sie sahen, erfahren Sie hier und hier. Wenn Sie zudem an Thesen und Reflektionen zum Film interessiert sind, finden Sie hier eine Übersicht zu erschienenen Aufsätzen. Und hier finden Sie sogar einen noch nicht veröffentlichten Aufsatz, der die Änderung der Rezeption seit 1990 nachzeichnet.

Beam mich rauf, Scotty! Das Weltall fängt in Harburg an
Reportage über deutsche Star-Trek-Fans in der Reihe »24 Stunden«, Sat.1 (Juli 1996)

Ball Spiel
Slapstick-Kinderfilm (ohne Worte) in der Reihe »Siebenstein«, ZDF (November 1998) und Kinder-Kanal (November 1998), seither zahlreiche Wiederholungen - sowie Festival-Beitrag auf den »Nordischen Filmtagen« (Lübeck November 1998) u. 2000 und beim »Goldenen Spatz« i(n Gera im März 1999), sowie bei den 45. Internationalen Kurzfilmtagen (in Oberhausen im April 1999), zudem in Chicago (im Oktober 1999), in New York und in Bratislava (im Dezember 1999).

WER IM GLASHAUS SITZT ...

Die Medienpreis-Laudatio von Heiner Michel:

Dominique Horwitz in "Vier Wönde""Glashäuser sind gefährdete Bauten. Bekanntlich, ja spruchweisheitlich, sollten keine Steine darin geworfen werden. Leider leben wir in den Medien davon, daß wir genau das tun. Wir haben unsere Steine nur ein bißchen umbenannt: Information, Bildung, Unterhaltung. Und plötzlich merken wir, daß unser Publikum zurückwirft: Bomben in Hoyerswerda, Wismar, in neuen und alten Ländern des so geeinten Deutschlands. Was ist uns da passiert? Was haben wir angerichtet? Was könnte morgen möglich werden, weil wir es möglich gemacht haben mit unseren Medien?
Genau diese Frage stellt der Film "Vier Wände. Eine deutsche Einheit." Da sitzt in seinen vier Wänden unser aller Produkt, ein moderner Candide, Don Quichotte, Kaspar Hauser.
Er versucht, aufs äußerste gespannt, ein Mensch zu werden, ein gesellschaftsfähiges Wesen. (...) Er liebt und lobt alle, die da auffscheinen: den Bundespräsidenten, den Kanzler, die Mauerbrecher und Deutschland über alles. Die Trabifahrer nicht so sehr. Die kaufen vor seiner Nase die Regale bei ALDI leer.
Da sammelt er dann eine Wut an, den künftigen gesunden Volkszorn. Er wirkt zunehmend bedrohlich, auch wenn ein objektiver Wissenschaftler für Medienpädagogik und Medienpolitik ihn und seinen Erziehungsgang unablässig erläutert. Dargestellt vom gleichen Schauspieler, eine beängstigend schizophrene Situation, denn er redet und arbeitet nicht mit ihm, sondern über ihn, und das hilft beiden gar nicht, uns leider auch nicht. Dabei hat unser junger Kaspar Hauser genau das Richtige getan. Er hat auf uns Medienmacher gesetzt."

Heiner Michel, Aspekte -Kulturjournal (ZDF)

Dazwischen veröffentlichte Rainer B. Jogschies immer wieder Fernseh-Reportagen für klartext (ORB) und dienstag (HR), unter anderem: "Volksverhetzung durch die Gedenkstätte Buchenwald?" und "Portemonnaie-Polaroids", sowie für den SFB ( kontraste), und Treatments, u.a. Kurz- Spielfilme für Siebenstein (ZDF), sowie Formatentwicklungen für Multimedia, Neue deutsche Film, CineCentrum, Tele-Bremen, Aspekte-Media , u.a. für eine Talkshow mit Sabine Christiansen.

Wieder nach oben.



Besprechungen

Hier können Sie einige Rezensionen nachlesen, mal nette, mal nettere. Es sind nur einige herausgesucht worden. Dennoch sind erste Eindrücke möglich, wie Kritiker im ersten Moment auf die Bücher reagierten.

 Zum Film "Drei Gänge":

Silke Wenk und Annette Berr vor Freiheitssäule"Was soll dabei herauskommen, wenn die ungleichen Paare losziehen? Der Hamburger Autor Rainer Jogschies wußte es selbst nicht, aber zum Glück hat er sich dennoch auf das Experiment eingelassen. Natürlich ist dieSituation absurd, wenn Volkhard Knigge dem DDR-Rockstar Tamara Danz erst das Schiller-Goethe-Denkmal und danach die »Stille Wand« im Konzentrationslager Buchenwald zeigt; und genauso verrückt ist es, wenn Silke Wenk und die Chansonette Annette Berr vor
der Berliner Siegessäule über Bismarcks Leistungen sinnieren und gleich darauf Käthe Kollwitz´ aufgeblasene Pietà in der nationalen Gedenkstätte umrunden. Gequält klingen diese Unterhaltungen, manchmal auch gestellt oder gar peinlich - immer aber hilflos, trotz aller Eloquenz der Vergangenheitsexperten. Der Glaube an eine mögliche 'nationale Identität' (was immer das sein soll) erscheint plötzlich als das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Die Pärchen bewegen sich durch ein von wahnwitziger Größe und großspurigem Wahn geprägtes Land. Sie stolpern vorbei an eigenverantwortlich inszenierten Katastrophen und historischem Glanz, sie verfügen über das Besserwissen der Nachgeborenen und verfangen sich doch in Schlagworten. Deutsche Geschichte jedoch, die zu einem einheitlichen Bild zusammengefügt werden könnte, finden sie nicht."
Stefan Stosch, Hannoversche Allgemeine, 09. Dezember 1994

 Zum Film "Fünzig Meter":

Pape auf der Großen Freiheit"In die Interviews von heute, bei denen Moderator Carsten Pape laut Jogschies 'hohle Phrasen ganz nebenher entlarvt', montierte der Regisseur Bilder aus der Vergangenheit: die Einweihung des Eros-Centers 1967in St.Pauli, die Sprengung des Iduna-Hochhauses am Ende der Reeperbahn 1995. 'Übrig bleibt der Schutt der Freiheitsphantasien', erklärt der Leiter der Redaktion 'Musik, Show und fiktionale Unterhaltung' beim NDR, Jürgen Meier-Beer. Voyeuristischen Bedürfnissen, deren Befriedigung sich mancher Zuschauer von einem Film über Hamburgs Zentrum der Prostitution versprechen mag, kommt die Kiez-Dokumentation nicht entgegen."
Christian Eggers, ddpADN , 13. März 1996

  Zum Film "Fünfzig Meter":

Carsten Pape mit Michael Batz"Tagestip, Dienstag, den 9. April 1996: Die große Freiheit ist Einsamkeit, N3, 0.30 Uhr:
Die Große Freiheit hat des dem NDR schon immer angetan. Hier vermutet der Sender Sünde, so war es immer. Der Regisseur und Autor Rainer Jogschies verleitete vor zwei Jahren Sänger Carsten Pape, auf der Großen Freiheit Passanten zu interviewen. Die improvisierten Live-Teile paßten so gut zu den alten Stücken aus dem NDR-Archiv, daß aus der Idee eine regelmäßige Liveshow hätte werden können. Die ungezügelte Struktur mißfiel der Redaktion, so wird heute nacht der übriggebliebene Pilotfilm ausgestrahlt - die große Freiheit ist Einsamkeit."
Fred Olsen, SZENE-Hamburg, 26. März 1996, Seite 112

 

Wieder nach oben.


Aufsätze zu den Filmen

Hier finden Sie einen kleinen Überblick zu Aufsätzen in Anthologien, die zumeist auf Vorträge zu Fernsehen und Filmen zurückgingen:

ZTamara Danz und Volkhard Knigge vor MEMENTO-Restenum Film:
Drei Gänge durch Deutschland.

"Extra zum Gruseln ins Horror-Disneyland".
Ein Spaziergangdurch deutsche Erinnerungen.
(In: Orte der Erinnerung. Wie ist sichtbar, was einmal war?, hrsg. v. Detlef Hoffmann, Loccum 1996, S. 99-111)

Erinnerungen an die Gegenwart -
Wie ist morgen sichtbar, was einmal war?
(In: Orte der Erinnerung. Wie ist sichtbar, was einmal war?, hrsg. v. Detlef Hoffmann, Loccum 1996, S. 137-149)

Zum Film:
Vier Wände.

Ausgrenzung als "Wiedervereinigung"
- Die »Vier Wände« nachdem Fall der Mauer
(In: Grenzmarkierungen. Normalisierung und diskursive Ausgrenzung, hrsg. v. Ernst Schulte-Holtey, Duisburg 1995, S.91-99)

Die vier Wände nach dem Fall der Mauer.
Warum die westdeutsche Berichterstattung über die Wiedervereinigung ab Herbst 1989 die Trennung vergrößerte
(In: Wer spricht das wahre Deutsch? Erkundungen zur Sprache im Vereinigten Deutschland, hrsg. v. Ruth Reiher und Rüdiger Lazer, Berlin 1993, S. 107-117)

Deutsche Befindlichkeiten: Die »Vier Wände« nach dem Fall der Mauer.
(In: Das eine und das andere Deutschland, hrsg. v. Hans-Peter Burmeister, Loccum 1993, S. 147- 59)

Die »Vier Wände« nach dem Fall der Mauer.
(In: Lebenslauf und Geschichte - Zur historischen Orientierung im Einigungsprozeß, hrsg. v. Jörg Calließ, Loccum 1993, S. 255-265)

Von der Schwierigkeit, gerade Vergangenes zu erinnern.
Der Fernsehfilm»Vier Wände« über die" Bilder der Wende" und das Trennende beim Erkennen der Gemeinsamkeiten
(In: "Wir sind ein Volk. Wir auch!"? - Wahrnehmungen und Wertungen unter Deutschen sieben Jahre nach der Ver inigung, hrsg. v. Fritz Erich Anhelm, Loccumer Protokolle 3/98, Loccum September 1998, S. 30 - 43)

Zum Film:
Fünfzig Meter Große Freiheit.

Fünfzig Meter Große Freiheit.
Deutsches Vergnügen - eine Versuchsanordnung
(In: Evidenzen im Fluß - Demokratieverluste in Deutschland, hrsg. v. Andreas Disselnkötter, Siegfried Jäger, Helmut Kellershohn, Susanne Slobodzian, Duisburg 1997, S. 301-313)


Zur Berichterstattung im Zweiten Golfkrieg

Krieg in den Medien - Krieg der Medien?
Über Macht, Zensur und Öffentlichkeit
(In: Surgery Strike - Über Zusammenhänge von Sprache, Krieg und Frieden; Loccumer Protokolle, 1992)

Die Metaphorik des Massenmordens.
(In: Sprach-Report, Zeitschrift des Instituts für deutsche Sprache, Mannheim 1991)

Der Tod kommt live.
(In: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 52, Zeitschrift derKulturpolitischen Gesellschaft, Hagen 1991)

»Zensur« als inszenierte Wirklichkeit.
.In: Zeitschrift für Wissenschaft & Frieden, Berlin/ November 1994)

Öffentlichkeit als Waffe der Militärs und Militaristen.
"Golfkrieg", Somalia und der "Balkankrieg" als Beispiele für eine neue, wandlungsfähige militaristische Informationsstrategie
(In: "Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit". Die Medien zwischen Kriegsberichterstattung und Friedensberichterstattung, hrsg. v. Jörg Calließ, Loccum 1997, S.169-203).

Das kriegerische Zusammenspiel vonMedien und Militärs.
(In: Kulturpolitische Mitteilungen No. 65, Hagen 1994)

Informationsfarbe Pink.
"Kommunikative Kompetenz" als künftige Unmündigkeit - Eine Fern-Sichtung
(In: Kommunikative Kompetenz in einer sich ändernden Medienwelt, hrsg. v. Jürgen Lauffer und Ingrid Volkmer, Opladen 1995, S. 235-242)

Zu Science Fiction:

Das Böse und die Phantasie. Trivialmythen und Anti-Utopie
(In: universitas - Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1990)

Die Wahrheit des Nirgendwo.
Film undUtopie.
(In: Protokolle der Ev. Akademie Loccum, März 1993)

Die Atomkriegsgefahr und die Rückkehr des Mythologischen
(In: Wissenschaft und Verantwortung; Lit-Verlag, Hamburg-Münster 1991)

Wieder nach oben.


Hier können Sie ein noch unveröffentlichtes Manuskript nachlesen. Der zugrundeliegende Vortrag wurde am 21. Oktober 2006 an der Universität Greifswald gehalten. Er erscheint in 2008 in einer Anthologie des Hempen-Verlages, die der Sprachwissenschaftler Sven Roth herausgibt:


Blick in die „Vier Wände“ durch die fünfte Wand.

Rückblende auf einen Fernsehfilm aus dem Jahr 1990

Trailer

Es ist hier auf einen Fernsehfilm zurückzublicken, der die Diskursmauern in Deutschland früh und im Doppelsinn bewegt zeigte. Er ist vermutlich vergessen. Die meisten Deutschen haben und hätten ihn ohnehin nicht gesehen zwischen all den Programmangeboten: „Vier Wände. Eine deutsche Einheit“ .

Es ist egal. DennSchlagzeilen zur Wiedervereinigung 1990 er handelt sowieso bloß vom Fernsehen. Ist das egal? In einem Land, in dem jeder Bürger, vom Kleinkind bis zum Greis, vom Arbeitslosen bis zum Überbeschäftigten mit Burnout-Syndrom, vom Bettlägerigen bis zum Fernsehverweigerer jeder im Schnitt über vier Stunden täglich in die Ferne sieht – durch jene fünfte Wand im Zimmer nach draußen in die Welt. So oft, dass das „da draußen“ allmählich zu einem hier drinnen wird?

Das wollen wir erst mal sehen.

Wie aber erinnert man sich eines Films, an den sich möglicherweise keiner erinnern kann, weil er knapp nur im Fernsehen zu sehen war und zudem auch noch ausgerechnet vom Fernsehen handelt, dem Egalmedium, das vielen Menschen so wichtig ist? Doch wozu ist es wichtig, wenn sogar das Drinnen und Draußen verschwimmen, wenn das Sein in der Fernsehzeit verrutscht?

Das, was da in „Vier Wände“ zu sehen war, musste man gar nicht in diesem einen Film gesehen haben. Es war zuvor schon reichlich im Fernsehen zu sehen gewesen.

Deshalb könnte das Gesehene also erinnert werden – selbst von denen, die diesen Film nicSchlagzeile der BILD zum 3. Oktober 1990ht sahen. Deshalb ist es egal. Deshalb nur?

Dann ist es zum Glück auch nicht so wichtig, dass dies Erinnern in einem Text geschieht und nicht mittels eines Videorekorders oder einer sonstigen Vorführung. Denn zunächst werden wir nicht fern sehen, sondern ganz nah in unserem Gedächtnis in die Ferne des Vergangenen blicken und mit Hilfe des Textes dabei hoffentlich prüfen, ob das Erinnerte oder Assoziierte etwas mit dem Vergessen oder Übersehen zu tun haben könnte.

Ob das Fernsehen dazu eine Hilfe sein könnte, wäre noch zu fragen. Denn Texte produzieren, wenn es gut geht, die unvergänglicheren Bilder. Jedenfalls sind sie von längerer innerer Haltbarkeit als jene, die im Fernsehen so direkt und manchmal sogar „live“ wie im Leben vor Augen waren.

Vorspann

Zunächst geht es also um das, was wir alltäglich tun und deshalb mit einigen Jahren Abstand – sagen wir ruhig mal: 17 Jahren – aus der Flut der Bilder kaum mehr oder nur schwer vor unserem inneren Augen haben. Es geht also womöglich, umgekehrt betrachtet, mehr um das Verschwinden als um das Hervorkramen aus der Erinnerung. Da ist so viel in den Programmen, das wahrlich nicht erinnerlich ist – und, so mag man hinzufügen, es braucht auch nicht erinnerlich zu sein, zumal es schon bei der Herstellung bloß einen Moment unterhalten sollte, also ablenken von Alltagssorgen oder Anlass für Unterhaltungen bieten. Fernsehen ist seit vielen Jahren mehr oder weniger ein solches Spiel, das die Zeit als Einsatz hat. Die Regeln haben nicht mehr viel mit dem zu tun, was der gesellschaftspolitische Auftrag nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sein sollen, sei es nun in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland (BRD) oder in der zentralistischen Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Am 3. Oktober 1990, dem „Tag der deutschen Einheit“, wurde beispielsweise für den Norddeutschen Rundfunk eine Unterhaltungssendung mit dem erwähnten, freilich sperrigen Untertitel „Eine deutsche Einheit“ aufgezeichnet, das den Festtag in eben den vier Wänden zeigt, in die sich der Zuschauer selbst dann gerne zurückzieht, wenn Großes in der Welt geschieht. Der 3. Oktober wurde als staatlich verordneter Feiertag, der den „17. Juni“ (1953) des „Arbeiteraufstandes“ in der vormaligen DDR ablöste, in 1990 erstmals begangen. Im vorangegangenen Herbst 1989 waren noch fast täglich Fernseh-Bilder vom Ansturm der DDR-Flüchtlinge in Prag und anderswo zu sehen gewesen. So kurz danach musste man ihrer und der Umstände bereits „gedenken“? Hatten all die reichlichen Fernsehbilder in allen möglichen Sendeformen und journalistischen Genres so wenig Wirkung, dass abstrakt in Staatsakten zu erinnern war?

Wer das selbst Gesehene der Monate 1989/90 grob erinnert, ist bei aller Unvollständigkeit der Betrachtung versucht zu sagen, es könnte sich insgesamt um eine dokumentierende Begleitung des Fernsehens gehandelt haben. „Geschichte“ kam ein Jahr lang durch den Äther ins Wohnzimmer geweht. Politiker wie der damalige Kanzler Helmut Kohl (CDU) sprachen jedenfalls effektvoll nicht in einem historischen Präsenz, sondern in einer bedrängenden Präsenz der herbeigeredeten Historie, die sie vor laufenden Kameras zu schreiben gedachten.

Waren die Geschichtenerzähler wichtiger als die Geschichte? Oder waren es nur Geschichten statt Geschichte?

Film

Dominique Horwitz in "Vier Wände"Das wörtlich genommene Fernseh-Spiel „Vier Wände“ zumindest zeigt eine etwas andere „Geschichte“ in doppeltem Sinn: Nicht den „historischen“ Fall der Mauer, sondern die Entgrenzung in den weiter bestehenden Mauern der eigenen vier Wände. Eine kleine Geschichte also in einer großen, die zu diesem Zeitpunkt merkwürdigerweise schon beendet schien, obwohl die bildhaft festgehaltenen Ereignisse teils nicht einmal ein Jahr her waren. Das „Medieninteresse“, wenn man diesen wabbeligen Terminus einmal mehr missbrauchen möchte, war bereits erlahmt. Die gezeigten Bilder der „Wende“ schienen „vergangen“, wenngleich einige so Zeitloses zeigten wie beispielsweise Menschen, die einander umarmen.

Und nun waren diese und andere Zeit-Bilder in einem kurzen Stück Fernsehen doch wieder zu sehen, gerade geschehen und schon vergessen – und beim Erinnern so gut wie ungeschehen wahrgenommen: Die gezeigte Sicht war eindeutig die eines „Wessis“, der in dem Film alleine zuhause sitzt und an diesem ersten Feiertag der Deutschen nichts besseres mit sich anzufangen weiß als sich die bereits in die Archive verschwundenen Westfernseh-Bilder der „Wiedervereinigung“ anzusehen.

Da war es natürlich pikant, wenn ihm – ausgerechnet an solch einem Feiertag der Verbrüderung – dabei plötzlich Ossi-Zuschauer zusehen konnten, im West-Fernsehen.

Aber machte diese Spannung zwischen einem inszenierten Zuschauen und dem tatsächlichen schon den Witz des Films aus? Und wenn ja, wer lachte denn da über was?

Was war das denn für eine Unterhaltungssendung? Da unterhielt sich doch niemand, wo sonst Geschwätzigkeit vorherrscht. Ach ja, doch, dieser eine Mann – ein Zuschauer sprach mit sich selbst.

Ab und an wandte er uns, den Zuschauern dieses Zuschauers, den Blick zu und redete scheinbar mit uns. Aber vielleicht meinte er auch nur den anderen Mann mit ihm im Studio, der ihm so ähnlich sah und der moderierte, was dieser eine Zuschauer da sah in dem Fernsehen, das ihn nun ausgerechnet dabei zeigte.

1993 habe ich diesen kleinen Film auf einer Tagung der „AG Sprache in der Politik“ bereits einmal vorgestellt . Da waren die Ausstrahlung und der Anlass noch einigermaßen präsent. Die Reaktionen im Teilnehmerkreis waren eher bedächtig. Man fühlte sich offenbar nicht so sehr unterhalten von einem inneren Monolog, der so merkwürdig entäußert wurde. Was sollte das mit der Sprache in der Politik zu tun haben?

Ich überschrieb meinen Vortrag damals: „Die vier Wände nach dem Fall der Mauer. Warum die westdeutsche Berichterstattung über die Vereinigung ab Herbst 1989 die Trennung vergrößerte“.

In der Vorbereitung dieser Tagung in 2006 zu „Diskursmauern. Aktuelle Aspekte der sprachlichen Verhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland“ habe ich nachgelesen, was ich damals über die Bedeutung der Fernsehbilder zur „Wende“ in den vier Wänden der Westdeutschen gesagt habe – und was ich möglicherweise selber bei der Komposition des Filmstoffes noch nicht gesehen hatte und erst später auch als eigene medial geprägte Biographie gewissermaßen entdeckte. Beides, das Erinnern eines Textes (als den man einen Fernsehfilm auch sehen kann) und seine Beschreibung mittels eines Textes (ohne den Film zu sehen), entsprechen angenehmerweise der widerborstigen Grundüberlegung des Drehbuch – sich das Sehen nicht selbst versagen zu wollen oder können, auch und gerade wenn das innere Bild das äußere Bild zu verschatten droht oder umgekehrt. Das muss nichts mit Realitätsscheu zu tun haben. Das muss nicht Alltag sein. Aber es ist jedenfalls – ob man es mag oder nicht, ob es gewollt ist oder nicht – mediale Praxis.

Seinerzeit hatte ich insbesondere betont, dass das disparate Filmmaterial aus Archiven der öffentlich-rechtlichen Sender, das in dem Fernsehspiel „Vier Wände“ zusammengeführt wurde, in sich widersprüchlich, die gesendeten Botschaften – freundlich gesagt – womöglich mehr als missverständlich waren. Das Fernsehen der Bundesrepublik, so die damalige These, habe einen entscheidenden Anteil am Verlauf der Ereignis vor und nach dem 9. November 1989 gehabt, nicht nur begleitend und bei weitem nicht nur informierend oder Orientierung bietend. Was denn erinnerte schon kurz nach „der Wende“ an diese gerade so wörtlich vorbildhaft Vorgezeigte – als noch nicht einmal deutlich war, ob es überhaupt schon oder jemals eine Wende zum Besseren, zum Schlechteren oder bloß zum selben würde?

Es gibt an dem damals Gesagten nichts zu revidieren. An den Bildern wäre allenfalls in einem totalitären Staat etwas zu revidieren. Mittels elektronischer Techniken wäre die Manipulation heute jedenfalls ein Leichtes und kaum mehr erkennbar.

Aber nach dem Nachlesen – beim nochmaligen Ansehen des Filmes – überkam mich das Gefühl, die Tagung hätte damals auch gut und gerne „Wer sieht das wahre Deutschland?“ heißen können. Und vielleicht auch müssen angesichts der medialen Prägung der Akteure der „Friedlichen Revolution“? Denn schon die von mir analysierten und inszenierten einzelnen Sprechakte waren in dem kleinen Fernsehfilm problematisch genug – aber die seinerzeitige Sprache des Westfernsehens, ob bei den „Privaten“ oder den „Öffentlich-Rechtlichen“, hatte die Ereignisse offenbar entscheidend verfremdet, wenn nicht gar verformt. Von einer Widerspiegelung konnte keine Rede sein. Die Bilder waren so „zugetextet“, wie es nicht ohne Grund im Journalistenkauderwelsch heißt, dass sie kaum noch zu erkennen waren.

Das zeigt sich nun Jahre danach auch daran – so meine, mit dem Zeitabstand ergänzende These –, dass der Film in den fünfzehn Jahren seit der ersten Sendung zwischenzeitlich völlig anders „gesehen“ wurde. Er löste immer wieder unterschiedliche Reaktionen aus, die nicht allein aus der Zusammensetzung der Publika zu erklären wären.

Anfangs lachten beispielsweise „Wessis“ über die Tumbheit und Dreistigkeit der vorgeführten Medienrezeption. Ostdeutsche waren eher indigniert oder im schlimmsten Fall empört. Wie war es nur möglich, dass da ein Westler so ungeniert und uninformiert, so ungelenk und dummdreist Ereignisse der „Wende“ und zerbrechende Biographien kommentierte, die so viel mit ihm zu tun hatten wie die umrahmende Fernsehwerbung? Warum roch er mal angewidert an seinen Fingerspitzen, als er gerade ein Stück Seife aus DDR-Produktion beiseite gelegt hatte? Warum stutzte er nicht ein Mal, wenn Ostdeutsche in einer Talkshow als Liedermacher und Pastoren allesamt sortiert wurden? Wenn ein knödelnder Nationaler wie Heino gemeinsam mit Volkspolizisten die Faust vor einer Auftrittshalle zum Klassenkämpfergruß emporreckte?

Schluckte der westliche Medienalltag jede anfängliche vermeintliche oder tatsächliche Sensation sofort und so gründlich, dass es nicht einmal auffiel, wenn im Westfernsehen begeisterte, vermeintlich „befreite“ Feiernde ausgerechnet auf der Glienicker Brücke „Wir wollen nach Potsdam“ grölten statt „Wir wollen zum Kuhdamm“?

Mit den Jahren änderten sich die Reaktionen. Dieselben Bilder, dieselben Texte wurden plötzlich anscheinend anders verstanden. „Wessis“ lachten weniger, „Ossis“ immer häufiger gereizt. War diesen Publika präsenter, wie die Medienwahrnehmung auch ihr Selbst- und Fremdbild der „friedlichen Revolutionäre“ verformt haben könnte? Oder wie naiv von Anfang an das Vertrauen auf ein Willkommensein in einer Republik gewesen sein mochte? Einer Demokratie, die es sich vor allem im Fernsehsessel gemütlich eingerichtet hatte – und von einem „Aufbau“ der anderen, von den „blühenden Landschaften“ in deren Paradiesgarten von vornherein nichts wissen mochte? Was blieb von der Feierlaune, dass nicht schon am ersten Gedenktag der Vereinigung tragisch und lächerlich gewesen wäre?

Schließlich, gegen Ende des Jahrhunderts waren bei gelegentlichen Vorführungen etliche „Wessis“ eigenartig empört. Ein Bundeswehroffizier drohte auf einer Tagung in Loccum Klage wegen Volksverhetzung an und organisierte Proteste beim Rundfunksender NDR . Ein Student empörte sich ein anderes Mal nach einem Vortrag im Germanistischen Seminar der Universität Hannover: Das gezeigte Material sei weitaus manipulativer als die BILD-Zeitung jemals sein könne. Er stamme aus den russischen Ostgebieten und wisse als Spätaussiedler, was Freiheit bedeute.

Inzwischen lachen viele „Ossis“ wieder amüsiert, während „Wessis“ verkrampft den ausgebreiteten und ungewohnt verbundenen Bildern folgen, die nun so weit weg scheinen wie die „eigene“, auch weitestgehend nur medial wahrgenommene Vergangenheit – beispielsweise wie Bilder aus der Flowerpower-Zeit der frühen Siebzigerjahre.

Der Humor muss damit nicht unbedingt mal auf der einen, mal auf der anderen Seiten zurückgekehrt sein. Auch die Verzweiflung über gewisse Stagnation brach sich sicher nicht im Lachen und Auslachen Bahn. Und schon gar nicht war die Freude über das Geschehene größer geworden, so dass nur noch Ausgelassenheit die Sicht prägte ...

Man muss an dieser Stelle hervorheben, dass der Film nur 1990 im Fernsehen auf einigen Dritten Programmen zu sehen war, dem früheren „Bildungsfernsehen“. Eine Wiederholung war er den verantwortlichen Anstalten nicht wert. Die Publikumsreaktionen stammen also nicht sozusagen aus laufendem Betrieb, sondern sind vornehmlich bei konzentrierteren Zuschauern zu beobachten gewesen – alles andere als der Normalfall des Nebenhersehens (und damit noch bemerkenswerter als ohnehin).

Gewiss wäre es leicht, zur Vergegenwärtigung und zur Probe aufs Exempel zwei längere Ausschnitte aus „Vier Wände“ vorzuführen, den Anfang und das Ende des Filmes beispielsweise – beides etwa zehn Minuten lang, erst die bekannten Bilder von den Grenzen, das Kennenlernen und Aufeinanderzugehen, am Schluss die nahtlose Integration der Akteure in Talk- und Musikshows.

Aber verstellte nicht gerade eine solche „Wiederholung“ den Blick? Gibt es überhaupt die Chance, wieder mit dem selben Blick auf das Material zu sehen – und die Montage wirken zu lassen? Ist denn (auch mit den vorgenannten Fragestellungen im Kopf) trotz der vermutlichen Demontage beim Wiedersehen jener Erinnerungssplitter noch – um dies vergessene Wort wieder zu seinem Recht kommen zu lassen – zu realisieren, was da möglicherweise abseits des Schirms geschehen war, das die Reaktion auf ein und dasselbe Material so schwankend werden ließ wie Schilf im Wind? Wohl nicht.

Helmut Kohl und die blühenden LandschaftenEs gibt noch weitere Faktoren, die ein unbefangenes Sehen erschweren und erschwerten. Blicken wir noch weiter zurück: Auf die Zeit vor der zu erinnernden Fernsehinszenierung, mit einigen Erläuterungen zum Zustandekommen des Films.

Der NDR hatte im Winter 1989/90 eine Projektgruppe mit dem Namen „Countdown 2000“ zusammengerufen. In ihr stritten und planten ausschließlich „Wessis“, die nicht aus dem Sender und vielmehr aus verschiedenen Berufen kamen, ein Krimiautor beispielsweise, ein Kabarettregisseur, ein Architekt, ein Comedian, ein Politikwissenschaftler und und und ... Ziel war es, bis zum Jahr 2000 jeweils zum Jahresende je ein Fernsehspiel, zwei Reportagen und eine Live-Show mit einer Soap zusammenzustellen, die die Ereignisse in der Bundesrepublik widerspiegeln sollten.

Diese Projektgruppe war für einen öffentlich-rechtlichen Sender, in denen oft fehlende Originalität durch Parteienproporz binnenpluralistisch bis zum endgültigen Einschlafen geregelt wird, ziemlich schillernd. Sie war wohl daher in der Redaktion „Sonderprojekte“ angesiedelt, nicht etwa in der Gesellschafts- oder der Fernsehspielredaktion. Zuständiger Redakteur und Initiator war Horst Königstein, der sich bis dahin durch seine fragwürdige Form der „Doku-Dramen“ einen Namen gemacht hatte. Später betreute er auch die gemeinsamen Projekte mit Heinrich Breloer wie zuletzt „Sperr und Er“ oder „Die Manns“, aber auch so besondere Fernsehspiele wie die Serie „Motzki“, die von Wolfgang Menge geschrieben wurde, der in den Siebzigern mit seiner Figur des „Ekels Alfred“ in „Ein Herz und eine Seele“ schon einmal ähnliches bearbeitet hatte (allerdings mit Wessi-Vorzeichen).

Zuständiger Abteilungsleiter war damals Rolf Seelmann-Eggebert, der sich innerhalb der ARD seit Jahrzehnten einen Namen als eine Art Königshausbeauftragter gemacht hat. Über europäische Königshäuser wussten öffentlich-rechtliche Zuschauer bis dahin vermutlich besser bescheid als über Kinder aus Golzow.

Dies waren die seltenen, nämlich fast skurrilen redaktionellen und damit produktionsgestaltenden Rahmenbedingungen. In einem Umfeld aus Schundserien und Tratschsendungen ist es allerdings erwähnenswert. Als Grenzmarkierung gegenüber der Trivialisierung und Profanisierung von Geschichte und Gegenwart in den vermeintlich anspruchsvollen Formaten der Fernsehanstalten ist die Notiz sogar notwendig.

Denn das dramaturgische Mittel der Personalisierung von Politik und Ideen überhaupt hat sich im Medium Fernsehen insbesondere in den Achtziger- und Neunzigerjahren so weit verselbständigt, dass Dokumentationen kaum mehr von Fiction unterscheidbar sind beziehungsweise vielmehr ganz bewusst mit dieser Grenzüberschreitung gespielt wird, um wenigstens einen Kitzel beim systematisch verrohten Zuschauer zu erzielen.

Desto bedeutsamer ist die relativ schematische Rahmung bei dem erwähnten Zuschauer, den der Film „Vier Wände“ beim Fernsehen im Fernsehen vorführt: Der Mann ist einsam, er wurde von seinem kleinen privaten Traum enttäuscht und hofft, dass er in Gestalt der fortgegangenen Frau zurückkehrt. Doch sie erscheint ebensowenig im Bild wie der Fernsehapparat, in den er stets zu starren scheint, mal hoffnungsfroh, mal verwirrt oder diesem Nichts irgendwo vor ihm antwortend. Nicht einmal die vier Wände sind zu sehen. Nur die Dunkelheit begrenzt den Raum wie eine Höhle, in der Plato´sche Bilder riesenhaft aufflackern. Es ist alles Fiktion.

Was aber war da nun genau zu sehen jenseits der eigenen Illusion? Was, das anscheinend Verborgenes in gereiztem oder unterdrückten oder befreitem Lachen verriet – aber es zugleich womöglich eher noch mehr verdeckte als endlich enthüllte?

Zum Beispiel also ein Gedenktag: Gewissermaßen in seiner Erstanwendung, noch am Beginn einer Dekade, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, allerdings nicht live zu sehen, sondern zeitversetzt und nur Nachts und nur im Dritten Programm: Im Bild: Ein freundlicher Mann, aufgestützt auf ein durchsichtiges Acrylpult. Er sieht direkt und geheimnisvoll lächelnd in die Kamera. Das weiße Studio ist hell ausgeleuchtet, sein dunkler Anzug sachlich, als wolle er uns wichtige Nachrichten verkünden. Er scheint uns zuzublinzeln.

Es ist ein Erzähler. Er erzählt uns, was wir im Westen längst gesehen hatten. Wir haben ja alles irgendwie irgendwann und sowieso schon einmal und zuallererst gesehen! Und der erzählt uns ausgerechnet mittels der vielen, vielen Fernsehbilder von „der Wende“, die auch sowieso schon alle gesehen haben, wie von einem Urlaubsort, der seit Jahrzehnten von der Liste der Traumziele gestrichen wurde.

Der Film „Vier Wände“, durch den dieser Erzähler führt, ist aber kein Abenteurerfilm, kein spannendes Fernsehspiel im klassischen, sondern im wörtlichen Sinne ein Fernseh-Spiel – denn er zeigt vermeintlich vertraute Bilder, die wir alle bereits zu kennen meinten, wenn auch vielleicht aus etwas anderer Erinnerung. Dieses Spiel, das uns der Mann vorführt wie Urlaubsdias bei Nachbarns, ist uns gleichwohl eigentümlich fern.

Es gibt in jenen eigenen vier Wänden – dem Ort, in dem die meisten Deutschen „die Wende“ erlebten – keine eigentliche „Geschichte“, jedenfalls keine, die sich dem Zuschauer nach herkömmlichen Kriterien – erzählerisch mitzuteilen lohnte, schon gar nicht im Fernsehen. Aber es gibt die große, die „deutsche Geschichte“ im Hintergrund. Das ist das Fatale.

Denn da sitzt nicht bloß ein Mann. Vielleicht ist es sogar ein Jeder-Mann, allein oder verlassen wie so viele, nachdem „ein Volk“ sich fand. Und er sieht sich die Bilder der „Wiedervereinigung“ an, „seine“ Bilder. Denn er hat sich Video-Kassetten aus den Fernseh-Berichten zur „Wende“ gesammelt, zu seiner Geschichte von der Geschichte.

Wir bemerken erst später, wie einsam er nach der erfolgreichen „deutschen Einheit“ ist – eingeschlossen in seinen vier Wänden nach der „Wende“, eingeschlossen mit allem Trennenden, das die „Einheit“ auch zuvor schon verhindert hatte. Das Fernsehen und seine Erinnerung, nämlich seine detailversessene Aufzeichnung auf Video, sind sein einziger Blick „nach draußen“, seine Wahrnehmung der Realität wie sie unrealistischer nicht sein könnte.

Und schlimmer noch: Wir sehen diesen Mann und verwirrenderweise eben noch einen, der fast genauso aussieht wie er, den Erzähler. Der eine hockt in einem schwarzen Raum auf einer Corbusierliege, die Ärmel des weißen Hemdes hochgekrempelt, das Haar noch vom Kämmen feucht. Der andere steht im Scheinwerferlicht akkurat an einem Pult und scheint zu ihm zu sehen, wenn er von ihm freundlich spricht. Zwei ungleiche Brüder irgendwie – wie es die deutschen bis dahin ohnehin waren.

Irgendwohin schaut der Liegende fasziniert – möglicherweise zu seinem stehenden Bruder, der mild lächelnd, souverän und manchmal ein wenig diabolisch die kleine Welt in den Wänden mundgerecht serviert als Neuigkeiten, sie anzudienen vermag als wäre er der schelmische Hanns-Joachim Friedrichs oder der bübische Ulrich Wickert, die beide kurioserweise in Deutschland geradezu als Inbegriff des Nachrichtenwesens gelten.

Erst spät bekommen wir mit, dass der Mann wartet. Worauf, wird nicht ganz klar, wahrscheinlich aber auf seine „Freundin“, die ihn „verlassen“ hat. Dies wiederum ist eine alltägliche und daher eigentlich nicht erzählenswerte Geschichte. Und es passiert auch nichts, was die beiden wiedervereinen könnte. Denn der Mann sieht offenkundig bloß fern und unterhält sich dabei prächtig, nämlich mit sich selbst.

Allerdings erfahren wir „nebenher“ – nämlich im Zusehen, wie der Mann zusieht – einiges mehr über ihn und die Geschichte, die seine Geschichte bedingt: Über „die Vereinigung“, die für ihn eine Trennung im doppelten, im politischen wie im privaten Sinne geworden ist, über eine „Wende“, die ihn (und uns) ansonsten „live“ nicht einmal aus seinem Fernsehsitz hochgebracht hat. Bei der vorgeführten ordnenden Sichtung des Materials bleibt es bei der bequemen Haltung.

Und doch: Diese Konzentration des Fernseh-Zuschauers auf das Zusehen dieses einen Zuschauers vorm Fernseher– und das dabei erfahrbare – geschieht, wenn der Film funktioniert, in der Hoffnung, im lange Sichtbaren die „Wahrheit“ der „Wiedervereinigung“ erst beim neuerlichen Sehen zu erkennen, und sei es über den scheinbar komplizierten und doch so einfachen Umweg, dass einer sich ansieht, was andere sich angesehen haben, dem wir nun dabei zusehen, so wie er uns wiederum von einem anderen Zuseher dabei gezeigt wird.

Was aber ist „die Wahrheit“, die uns die Bilder erzählen, die der Mann da sieht – und die wir vielleicht ganz anders erinnern, die wahrscheinlich sogar anders gemeint waren?

Es ist jedenfalls nicht „seine“ Wahrheit, schon gar nicht seine Wirklichkeit. Sondern er kommentiert und biegt sie sich mühselig wie auch beiläufig fragmentarisch so zusammen, dass sie Teil seiner Wirklichkeit gewesen sein könnten – nicht umgekehrt. Er sieht die Bilder, wie sie „sind“, wenn er sie sieht.

So ist das nun mal, überall, mag man achselzuckend einwenden. Wer sieht denn schon wirklich „fern“, wenn ein strahlender Röhrenkasten oder ein kühler Flatscreen ihm Bewegtes oder Bewegendes vorgaukelt?

Dies freilich sagt auch einiges über die Bilder selbst, über ihre mögliche, verborgene Aussage-Absicht. Denn sie sind ja eigens so hergestellt worden, dass dieser Vorgang nicht in Zweifel gezogen würde und mithin Glaubhaftigkeit mit dem Fernsehlicht im Zimmer verströmt.

Dabei ist das Drehbuch, so irrwitzig und konstruiert es auch klingen mag in dieser verkürzten, beispielhaften Schilderung eines erfundenen Zuschauers, der sich nicht recht erinnern will wie es wohl für andere als ihn war, sogar unmittelbar vom Leben diktiert: Der „Norddeutsche Rundfunk“ vertrieb seinerzeit über seine kommerzielle Tochter „NDR international“ eine Video-Kassette mit der TV-Version der „Revolution“ mit dem hübschen Titel „Ein Volk sprengt seine Mauern“.

Über weite Teile wurde Material aus diesem Verkaufserfolg für die Materialschau des Mannes in „Vier Wände“ verwendet. Das sparte Zeit und Geld. Die Wirklichkeit ist eben oft umstandsloser als ihre Abbildung, von ihrer Deutung zunächst ganz zu schweigen.

Der Mann in „Vier Wände“ hält übrigens diese Kassette in einer Szene versonnen in der Hand und erinnert sich, voller Stolz über seine Sparsamkeit: „Erst wollte ich mir auf VHS die »Deutsche Revolution« holen. Aber das war ein Zweiteiler. Das war mir zu teuer. Da hab' ich »Ein Volk sprengt seine Mauern« genommen – siebzig Minuten zu 39,95. FSK-frei. Und mit Rockmusik!“

Er singt danach erbarmungswürdig neben der Tonart einen der auf dieser Kassette mitgelieferten Hits mit, einen uralten Song, interpretiert von Joe Cocker. Er singt gerade so, als habe er wie Helmut Kohl, Willy Brandt und Walter Momper die Nationalhymne im November 1989 vor dem Schöneberger Rathaus angestimmt: „What would you do if I sang out of tune? (...) I get by – with a little help from my friends.”

What would you do – eine Frage, die sich Deutsche selten stellen, selbst wenn sie mitsingen. Warum auch, solange der Schornstein raucht. Die Berichterstattung war ein gutes Geschäft für die Medien, die nicht nur alte Schlager und Songs wiederverwerten konnten.

Den Zuschauer hatten sie, Öffentlich-Rechtliche ebenso wie die „Privaten“ trotz oder gerade wegen des Geredes von „der Quote“ längst hinter sich gelassen – so wie seinerzeit die Bonner Politik den Wähler, vom Bürger gar nicht zu reden.

Die Ausgangsthese kann auch aus dieser Rückblende zugespitzt werden: Das Fernsehen trennte zudem statt zu verbinden. Denn es schuf keine Erinnerungs-, sondern eine Verklärungsgrundlage. Das Material, das vermarktet wurde, verriet nicht, wie der Umbruch verlaufen würde, obwohl er alle Elemente der späteren Entwicklung enthielt.

Eigentlich erzählten die Verkaufskassette und ihre Nach-Inszenierung in „Vier Wände“ mehr über die Menschen, die auf die anderen wie auf Objekte blickten, versteckt hinter der Kamera, als Moderatorin im Studio oder in der Deckung des dunklen Zimmers mit laufendem Fernsehen. Und die, die sich sowas klaglos mitansahen.

Die Mauer war gefallen, aber die eigenen vier Wände mauerten weiter. Es gab keinen Schießbefehl, aber die Medien „hielten“ gnadenlos „drauf“, wie ein landläufiger „Macher“-Spruch lautet.

Die unmittelbaren, die „eigenen“ Erfahrungen, wie sie uns dieser eine Zuschauer in „Vier Wände“ im Unterschied zur Verkaufskassette mitteilt, lassen jedoch die Chronik der Zeitdokumente, die Bilder von der „friedlichen Revolution“, im schlimmsten Fall als groben Unfug dastehen, zumeist als unfreiwillig kitschige Inszenierung – an die wir nur zu gerne glauben mochten. Hinter den Bildern der „friedlichen Wiedervereinigung“ ist im Bild und in der Kommentierung, im Ton und im Schnitt, in der Dramaturgie und Inszenierung aber bereits die neuerliche und tiefergehende Trennung zu sehen oder zu ahnen.

Einige auch von ungeübten Zuschauern leicht nachvollziehbare, kleine handwerkliche „Manipulationen“ am Material in dem Fernsehspiel „Vier Wände“ machten allerdings deutlich, dass es in den Rundfunkanstalten weit schlimmer mit einem professionellen Verständnis steht, das das Medium schon als die Botschaft ausgibt. Da brauchte in „Vier Wände“ bloß mal ein Bild ohne einen Kommentar, nur mit dem Originalton, zu stehen – schon wirkte es einschüchternd abgründig. Es musste ein weihevoller Bonner Sektempfang nur mit dem traurigen Titel “My friend” von Jimi Hendrix „unterlegt“ werden, um Unruhe in einer Idylle sichtbar zu machen: „Sometimes it's not so easy especially when your only friend talks, sees, looks and feels like you – and you do just the same as him.“ Es musste nur dem wohlgefällig herbeigeredeten Sentiment mit anderen Gefühlen entgegnet zu werden. Und schon sah alles ganz anders aus als gewohnt.

Und wie! Und wie?


Turning Point

Das deutsche Fernsehen hat diese Lektion offenbar noch nicht begriffen und wundert sich heute, dass die neuen Zuschauer im Osten ihren Augen nicht mehr trauen, nachdem ihnen so viel versprochen und per Bildschirm vorgegaukelt worden ist.

Es ging aber in dem Film „Vier Wände“ gar nicht so sehr um eine glaubwürdige oder eben unglaubliche Reaktion eines Einzelnen auf die Berichterstattung der einerseits (in Bezug auf die Bundesrepublik) staatstragenden und (mit Blick auf die untergehende DDR) staatsverächtlichen bundesdeutschen Fernsehanstalten. Da mag die Frage nach den zeitlich sich wandelnden Reaktionen gegenstandslos sein.

Es ging auch nicht um die von ihm subjektiv „wahr“ genommene und von uns durchaus nachvollziehbare, vermeintliche Entlarvung des verwandten Fernseh-Materials beispielsweise als „Manipulation“ oder pure emotionalisierende Unterhaltung. Dies hieße, das Material aus der Distanz schon kategorisiert, gedanklich gebändigt zu haben – und es damit nicht mehr verstören oder bedrohlich werden zu lassen.

In „Vier Wände“ wird vielmehr der gefährlichere, nämlich der zerstreute, im tiefsten Grunde erinnerungslose Blick ohne Absicht besichtigt – schon deshalb könnten die geschilderten Reaktionen so verschieden gewesen sein.

Ohne Absicht ist das Material gewiss auch entstanden. Ein Manipulationsvorwurf ist nur in wenigen Fällen berechtigt.

Aber die in „Vier Wände. Eine deutsche Einheit“ gezeigte, gewöhnliche oder wie man will auch unverschämte, nämlich die schließliche „Manipulation“ durch den Zuschauer, die sich so „absichtslos“ gibt wie die betrachteten Bilder selbst, zeigt, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmen kann und auch nicht stimmiger wird je länger der Film im Archiv schlummert und die Fernsehbilder nachwachsenden Generationen wenig vertraut oder gar unbekannt sind.

Dominique Horwitz mit DDR-Seife

Es sind vielmehr fünf Vermutungen aus den fünfzehn Jahren Beobachtung anzustellen, warum das bereits in den ersten zehn Minuten des Films zu sehende, hier nur im Ansatz beschriebene Material nicht als neutrale Archivalien betrachtet wurde und wird, sondern die zugleich gezeigten, oben erwähnten Konnotationen, die ungeschminkten Deutungen des Gesehenen und Gedachten durch den einzelnen Akteur, den prototypisch überzeichneten Wessi-Fernsehzuschauer, sich so stark verselbständigten, dass sie trotz Inszenierung in ihrer zeitgebundenen Wirkung nahezu unkalkulierbar sind. Man weiß eben nicht, was genau bei der Betrachtung dieser Fernsehinszenierung, wie einige Westdeutsche die „Wende“ sahen, außer den Bildern alles sonst noch wiedererkannt wurde – möglicherweise sogar die eigene nahe Betrachtung der Bilder, sei es die seinerzeitige oder die tatsächlich ferne wie bei dem erwähnten russland-deutschen Studenten.

Für den wörtlichen Betrachtungszeitraum von 1990 bis heute ist somit im übergeordneten Zusammenhang zu fragen, was zwischen dem fernseh-dokumentierten Bannern „Wir sind das Volk“ und „Wir sind ein Volk“ bis hin zu dem schlagzeilen-reklamierten „Wir sind Papst!“ gesellschaftlich und medial geschehen ist.

Erstens: Es hat offenbar einen entscheidenden Wandel in der Deutungshoheit in der Bundesrepublik gegeben, der gesellschaftlich kaum bewusst, institutionell und programmlich jedoch leicht nachzuzeichnen ist. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben ihre frühe Aura aus der Nachkriegszeit und den Sechzigerjahren, objektiv und demokratisch kontrolliert zu sein, längst eingebüßt, unter anderem durch ihre formale und inhaltliche Annäherung an die „privaten“ Programme in den Achtzigern und enthemmt in den Neunzigern. Als human touch kam in der Berichterstattung von der Grenzöffnung im November 1989 daher, was im bedachteren frühen Fernsehen als Propaganda abgelehnt worden wäre.

Im Rückblick aus 2006 – nachdem sich bereits Normalität wie auch immer eingefunden hat – wird deutlich, von welcher Normalität zuvor unausgesprochen die Rede war, wenn beispielsweise die Ausnahmesituation eines verkaufsoffenen Sonnabends in Lübeck als „Aufmacher“ der 20-Uhr-Tagesschau vorgeführt wird als würde seit sieben Uhr zurückgeschossen: „Ausnahmezustand!“

„Wessis“ können kaum mehr lachen, weil sie womöglich zugeben müssen, dass sie seinerzeit den Bildern aufgesessen sind. Sie haben sich selbst überfallen.

Dieser Vertrauensverlust wurde für „Ossis“, die in den damaligen Berichten auch so typisiert vorgeführt wurden, schon in dieser zugewiesenen Rolle früher und traumatisch deutlich: Sie brachten zudem den Eindruck mit über die Grenze, das Staatsfernsehen der DDR sei ausschließlich propagandistisch gewesen. Dies schien insbesondere an der Sendung „Der schwarze Kanal“ von Karl-Eduard Schnitzler deutlich, der wiederum das Westfernsehen als Propaganda vorstellte. Im Westen angekommen, mussten die Neubürger nun feststellen, dass Vieles von dem stimmte, was aus der Ansicht des Ostfernsehens moniert oder als pure Propaganda denunziert worden war. Diese Verdrehung der Wahrnehmungsverhältnisse machte sich offenbar im gereizteren, lachenden Umgang mit der vermeintlichen westlichen Medienneutralität deutlich.

Zweitens: Mit der Deutungshoheit hat sich auch die Dominanz des „DM-Denkens“ – wie sich das sehr verkürzt, aber durch die frühen Forderungen, die Einheit zunächst währungstechnisch abzuwickeln, zu Recht genannt werden kann – entscheidend verändert. Die DDR-Bürger „wollten“ die DM, sie traten eher die „Flucht in die DM“ als in die BRD an, so seinerzeit ein Tenor der westlichen Berichterstattung. Mit der „Währungsunion“ halbierte sich jedoch ihr erwirtschaftetes Geld – damit war ein Großteil der eigenen Lebenszeit im Nachhinein wörtlich wertlos geworden.

Die „Wessis“ schmunzelten anfangs über die „jammernden“ Ossis – aber mit der Einführung des Euro passierte ihnen exakt dasselbe, was den „Ossis“ nun ein zweites Mal geschah. Vor diesem Hintergrund wird die bei Politikern und Medien gleichermaßen dominierende Rede von der „Reinigungskraft“ und „Stärke des Marktes“ zur Farce. Das kleinbürgerliche Milieu, wie es in den Fernsehberichten kurzzeitig 1989/90 tonangebend war, wurde in den Neunzigern weiter proletarisiert oder gar poverisiert. Konsum ist nicht länger geil, wie es in den hedonistischen Achtzigern im Westen die vorherrschende Parole zu sein schien, sondern „Geiz ist geil“.

Das Fernsehen berichtet entsprechend seither mal von den Schönen und Reichen, mal veranstaltet es Brot und Spiele mit Shows, in den Millionenbeträge vereinzelt vergeben werden. Da wirken Bilder „der Wende“ inzwischen tragikomisch, wenn nicht gar rätselhaft. Spielte man mit diesen Bildern „Jeopardy“, würde keiner die Lösung kennen, welcher Begriff mittels der Bilder zu raten sei.

Drittens: Die bis zur „Wende“ tragenden gesellschaftlichen Diskursrahmen sind endgültig zerbrochen. Sie erlaubten – egal, wie man jeweils zu ihnen stand – Positionsbestimmungen; sie halfen zu verstehen und zu deuten. Mit dem Gerede um „Gesetze des Marktes“ ist keinerlei vernünftiger übergreifender Diskurs mehr möglich oder erwünscht.

Die Radikalität dieser Entwicklung hat Konsequenzen für den Einzelnen und für die Demokratie. Es geht längst nicht mehr um „Eigenverantwortung“ oder die „wirtschaftliche Blüte aus eigener Kraft“ wie zu Wendezeiten.

In der Talkshow „Christiansen“, die früher Nachrichtenfrau neben dem erwähnten Hanns-Joachim Friedrich war, schuriegelte beispielsweise ein „Finanzdienstleister“ im September 2006, sein Unternehmen sei „weitaus demokratischer als die Parteien“: Seine „Wähler“ seien die Aktionäre, stündlich, ja minütlich würde an der Börse über seine Politik „abgestimmt“ – er könne nicht „abgehoben und ungestraft“ machen, was ihm so einfiele, sondern nur, was „Nutzen für alle“ habe ... Aber die „mit den Füßen“ abgestimmt hatten, als sie über Ungarn in die Bundesrepublik wollten, die, die Montags in Leipzig demonstrierten – sie können nicht in der Aktiengesellschaft Deutschland über den Kurs abstimmen, auch nicht bei VW oder BenQ. Da fehlt das befreite Lachen noch trotz DM, erst recht trotz des Euros.

Viertens: Mit diesen ersten drei Thesen – dem Verlust der Deutungshoheit, der Dominanz des DM-Denkens und dem vordergründigen Verschwinden aller großen Orientierungsrahmen wie Sozialismus oder „soziale Marktwirtschaft“, „demokratischer Sozialismus oder „freiheitliche Demokratie“ – sind ernste Folgen für die Bürger, die Parteimitglieder oder die Wähler verbunden.
• Zu 1: Der Verlust der Glaubwürdigkeit der Medien korrespondiert mit der Unfähigkeit, noch vertrauen zu können. Dies wird nicht dadurch besser, dass neuerdings allerorten unter „Medienexperten“ von einer „Demokratisierung“ der Medien geschwafelt wird, die sich darin zeige, dass jedermann mit seiner Digitalkamera oder mit dem Handy „Reporter“ sein könne.
• Zu 2: Die ständige Betonung der Eigenverantwortung, der eigenen Motivation und Flexibilität bedeutet für den Einzelnen nicht nur eine erlebte Entsolidarisierung, sondern eine tiefe Verunsicherung, die keineswegs individuell, sondern gesellschaftlich zu sehen ist – dies desto mehr, wenn die sozialen Umstände diesem gesellschaftlichen Mainstream nicht standhalten können. Wer als Fünfzigjähriger damit rechnen muss, nie wieder Arbeit zu finden, dem nutzt es nichts von gesellschaftliche Schranzen ungebeten geduzt zu werden mit dem Ausspruch: „Du bist Deutschland!“ Dann lieber Papst bleiben.
• Zu 3: Die vermeintliche totale Individualisierung der Lebensentwürfe und -zusammenhänge wird mit der Aufweichung der Orientierungsrahmen auch nicht erreicht, wenn nur personalisiert wird, wenn „human touch“ geheuchelt und alles emotionalisiert betrachtet und vorgeführt wird. Es ist dies ein Akt der folgenschweren Entpolitisierung. Dann wird eine Kanzlerwahl wie die letzte plötzlich nur noch mit Kriterien kommentiert, dass es beispielsweise „endlich eine Frau“ geschafft habe und noch dazu eine Ostdeutsche. Begreifen kann das keiner mehr so richtig. Die Gesellschaft kann dann keiner mehr verstehen, wenn erst einmal dieses Niveau erreicht ist. Hinzukommt eine ironische Drehung, dass plötzlich die Medien beginnen, sich um Wissen und Welterklärung zu bemühen. Jede Zeitung oder jeder Fernsehsender, die auf sich halten, haben inzwischen ein Wissensressort. Und die „tagesschau“ hat gemeinsam mit einer jungen Autorin im August 2006 bei Rowohlt ernstlich ein Buch herausgegeben, das „Die Tagesschau erklärt die Welt“ betitelt ist.

Fünftens: Die bittere Konsequenz aus diesen vier Thesenbildungen ist, dass wir es gesellschaftlich immer mehr mit diffusen Spontangemeinschaften zu tun haben werden, seien es religiöse Erweckungsszenerien wie auf dem „Katholischen Jugendtag“ 2006 in Köln, seien es vermeintlich politische Settings wie der „neue Patriotismus“ bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 oder der Rückfall in Nostalgie, die sich in einer Kultifizierung ehemals erlittener Lebensumstände ausdrückt oder in der kompletten Umdeutung der Geschichte – dies kann dann sowohl eine „Ostalgie“ sein als auch schlimmstenfalls das Erstarken rechtsradikaler Kräfte in einer ohnehin latent autoritär strukturierten Klientel, die es übrigens nicht nur in Ostdeutschland gibt.


Abspann

Diese Thesen müssen an dieser Stelle erst einmal so stehenbleiben. Es ist nicht der Raum, sie hier so ausführlich politik- und medienwissenschaftlich zu diskutieren oder soziologisch und sprachwissenschaftlich zu prüfen wie es sein müsste, dann nämlich am besten mit einem interdisziplinären cultural study-Ansatz, der eine Diskursanalyse mit neueren Forschungsformen methodisch verknüpft.

Am Ende des Film „Vier Wände“ sind allerdings Szenen aus Shows zu sehen, die bereits einige Motive der hier kurz vorgestellten, erst viel später entwickelten Thesen beinhalten.

Ohne näher auf jene Sequenzen beispielsweise mit dem Schlagersänger Heino oder eine Talkrunde mit dem damals amtierenden Regierungssprecher der DDR, Matthias Gehlen, eingehen zu können, muss die Anfangsfrage aufgenommen werden, warum diese Szenen so verschieden gesehen wurden und werden, warum „das wahre Deutsch“ nichts mit der Selbstfindung des einen „wahren“ Deutschlands zu tun hat.

Drei grundlegende Umstände und Haltungen sind bei all dem Vorgesagten nicht genügend berücksichtigt und auch kaum integrierbar in die zuvor angemahnte wissenschaftliche Methodik und deren fachliche Diskurse. Sie waren bereits – wenn man so will – als reizvolle Konstruktionsfehler in dem wörtlich zu verstehenden Fernseh-Spiel „Vier Wände“ bei der Materialauswahl angelegt, um Spannung zu erzeugen:
1. Das Fernsehspiel sollte unterhalten, es sollte amüsant sein. Dabei wurde die geradezu urdeutsche Grundhaltung unterschätzt, die in einem simplen Satz brutal versteckt ist: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“.
2. Die Bilder stammten aus den Archiven der Rundfunkanstalten und anderer. Auch wenn sie nun neu und so gut es ging anders, nämlich verfremdend montiert wurden, so folgten sie doch der Logik, aus der sie entstanden waren. Das heißt, sie personalisierten und emotionalisierten in genau der spezifischen Weise, wie sie nicht zuletzt durch die Montage desavouiert werden sollte. Die dadurch entstehenden Brüche wurden offenbar im jeweils verschiedenen Lachen bemerkt und bewertet: Denn es wurde im gereizten und später befreiten Lachen offenbar weniger auf die Banalitäten des Bösen reagiert, sondern es wurde offenbar das Böse der Banalität achselzuckend akzeptiert. Oder anders gesagt: Vermutlich resignierten die Rezipienten schon frühzeitiger als es beim Schreiben des Drehbuches zu vermuten war.
3. Zuguterletzt: Das Fernsehspiel „Vier Wände“ sollte ganz bewusst die Westsicht aus den Westfernsehsendern dokumentieren und kommentieren – doch wurde dabei die Wechselwirkung unterschätzt, die dadurch nach der Wende gegeben war, dass es noch ein Staatsfernsehen der DDR, dass es angestammte Zeitungen und Hörfunk gab. Sie hatten Hör- und Sehgewohnheiten in vielerlei Hinsicht tief geprägt. Das Vertrauen auf die Kraft der Fernsehbilder (West) und die Differenzen zu ihrer Interpretation (West und Ost) war – im Rückblick gesehen – offenbar mehr ungewollt naiv als gewollt unmittelbar.

Darüber wird zu reden sein.

Zwei Anekdoten könnten für das weitere Gespräch über das Thema noch weitere Schlüssel geben. Eine überlieferte Geschichte ist möglicherweise frei erfunden, ist dafür aber gut. Die andere Beobachtung ist so verblüffend banal, das sie gar nicht erfunden zu werden brauchte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich angeblich ein Missionar zwei Filme in den Busch senden, mit dem er die Schwarzen versöhnen und unterhalten wollte. Der erste Film zeigte Charlie Chaplin beim Verspeisen eines Schuhs mit Messer und Gabel. Es wurde nicht gelacht. Das Publikum verharrte eher wehmütig, weil es offenbar diese Art des Hungers zu gut kannte. Ein anschließender Wochenschau-Bericht zeigte die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. Der Missionar wollte den „Wilden“ am Bild der Ausgezehrten und Gerippeberge zeigen, dass auch der weiße Mann zu „unzivilisierten“ Taten fähig sei. Es wurde herzlich gelacht.

Eine Erklärung des Missionars soll gewesen sein, dass die hungernden Schwarzen den Anblick verhungerter Weißer komisch und befreiend empfanden. Diese Interpretation wirft genau die Fragen auf, die sie zu beantworten meint.

Das zweite ist – wie gesagt – eine wahre Begebenheit, zudem aus der unmittelbaren Umgebung der Tagungsstätte in Greifswald. Im September habe ich auf der Kurpromenade in Binz eine Frau beobachtet, die missmutig über die Ostsee in Richtung Kreidefelsen blickte. Sie zückte ihr Handy. Es war sehr diesig. Sie richtete das Handy auf das Motiv der weißen Felsen vor unergründlichem Meer, das Caspar David Friedrich vermutlich auch genauso so, aber mit anderer Telefonnummer gewählt hätte. Doch sie hatte offenbar einen konkreten, weil individuell anzurufenden Empfänger ihres Bildes im doppelten Sinn im Auge, der – so ist zu mutmaßen – Wert auf äußerste Brillanz legte. Deshalb drehte sich die Frau behende zur Seite und richtete die Kamera auf einen Kunsthandwerk-Verkaufsstand. Dort hingen übergroße Panoramafotografien vom Kreidefelsen. Die schwenkte sie nun langsam ab und kommentierte die Übertragung per Handy live: „Das Meer ist ruhig. Die Sonne steht niedrig. Wir sehen auf die berühmten Felsen von Rügen.“


Zum Weiterlesen, woran die hier gemachten Anmerkungen anschließen:


Jogschies, Rainer (1998): Die rasche Ent-Politisierung der "Politik im ARD-Fernsehen - »tagesthemen«, Doku-Dramen" und "Talkshows" zwischen Rekonstruktion und Konstruktion der Realität. Ein Zappen entlang der Zeitrömungen. In: Die Inszenierung von Politik in den Medien – Die Inszenierung von Politik für die Medien, hrsg. v. Jörg Calließ, Loccum, S. 196-265

Jogschies, Rainer (2001): Emotainment – Journalismus am Scheideweg. Der Fall Sebnitz und die Folgen. Münster, Berlin, London

Jogschies, Rainer (2004): Nancy Davenport und der 9.11. – Photo-Realismus vs. „Echtzeit-News“. In: Kunst nach dem Krieg, hrsg. V. Detlef Hoffmann, Loccum, S. 169-201. Siehe dazu auch die Bearbeitung in einem Vortragstext, hier.


Wieder nach oben.

Oder doch lieber nochmal zu den sonstigen Vorträgen.